Premiere / "Erotisch? Aber ja!" im Theater
Neu-Ulm
Henriettes aufgebrezelte
Damen
Pikante Romanstellen, anzügliche Songs und
lasterhafte Texte komponiert das Theater Neu-Ulm unter dem Titel
" ¸Erotisch? Aber ja!'' zu einem anregenden Abend.
CHRISTINA MAYER
Nun gut, erschrecken oder erröten muss niemand.
Auch wenn der Höhepunkt des erotischen Abends eine Stöhnübung
in Sachen Höhepunkt ist, überschreitet das Programm
"Erotisch? Aber ja!'' keine noch so engen Grenzen von Anstand
und Moral. Was schade ist.
Aber keine Angst, meine Herren, Anstandsdamen
sind es trotzdem nicht, die da im durchsichtigen Plastikfummel
die Lippen schürzen und die Beine spreizen. Naturgemäß
spielt sich ein erotischer Abend unterhalb der Gürtellinie
ab. Genau dorthin zielt das Programm unter der Regie von Claudia
Riese. In ¸¸Erotisch?
Aber ja!'' geht es um Sex, um den Koitus und um den Kerl - meist
den miesen.
Liszts "Liebestraum'', von Alfred Zoller
am Klavier gespielt, eröffnete perlend den Abend. Nach diesem
musikalischen Prosecco erschien Heinz Koch als tuntige Tante und
erreichte mit bloßer Präsenz ein Maximum an Effekt.
Dagegen mussten sich die
Damen erst mal abstrampeln, um sich Lorbeeren zu verdienen. Matronenhaft
über den Brillenrand vorlesend, im langen Samtabendkleid,
war Kochs "Henriette'' das wohlig weiche Gegenstück
zu den aufgebrezelten Damen. Henriettes lange
Wimpern schienen umflort von tiefen Einblicken in die Erotik,
was wirklich extrem lustig war. Mit behäbiger Eleganz führte
sie auch die Publikumsbefragung durch. Mittels unterschiedlicher
Stöhnlaute darf das Publikum bei der Textauswahl mit entscheiden.
Drei Schauspielerinnen bestreiten den erotischen
Abend. Da ist Tosca-Maria Felle, die zu ellenlangen Beinen genau
so lange schwarze Haare trägt. Ihre Natur aber ist "blond''.
In einem schmollenden Sehnsuchts-Solo erzählt sie die Geschichte
über das "solariengebräunte Arschloch'', das sie
in Grund und Boden gesülzt habe. Ein breites, g'schertes
Bayerisch gibt's als Sahnehäubchen obendrauf.
Carolin Gutting verkörpert den singenden
roten Wirbelwind und kümmert sich als Animateurin um die
Lockerung der Zuschauer-Gesichtsmuskeln. Diese Raubkatzenerotik
sprang den Männern zumindest verbal direkt an den Hals. Tine
Riese zeigte als Fitnesstrainerin den Weg zum perfekt inszenierten
Orgasmus.
Aber was an dem Abend fehlte, war nicht nur ein
Programmheft. Es war die deftige, schwitzende und busenpralle
Erotik, in der es wogend zur Sache geht. Stattdessen stöckelten
flippige Weibsen zwischen Bistrotischchen, Sofa und Mikrophon.
Aber so ein Abend ist halt wie die Erotik im richtigen Leben.
Nicht immer kriegt man auch alles, was man sich wünscht.
Südwest Presse, Samstag, 24.
November 2001
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