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Neu-Ulms einzig{artig}e Profi-Bühne: "Charleys Tunte beim Black-Jack" von Heribert Benjamini

Charleys Tunte beim Black Jack

Regie: Claudia Riese;

mit: Joana Dentler (Playagirl, rechts), Heinz Koch (Pussy Galoor)

Zeit: Gegenwart

Ort: ein Warteraum in einer Casting-Agentur. Gesucht wird (nicht ein Superstar, sondern) die Besetzung für "Charleys Tante"; einige Leute, die sich für verschiedene Rollen beworben haben, fiebern ihrem Vorsprechen entgegen. "Pussy Galoor" tritt auf, ein Mann um die 60 in Frauenkleidern

Das Thema:

Indentität. "Wir spielen alle, aber nach welchem Drehbuch? Wer ist wer?"

"Charleys Tunte beim Black Jack" ist die Begegnung eines reiferen Herrn in Frauenkleidern mit einer jungen Frau, welche die Hosen anhat. Woher die beiden ihre Texte haben, wissen sie selbst nicht, sie sind ja nur Figuren in einem Stück. Wenn sie nicht wissen, wie es weiter geht, legen sie Karten oder rufen den Autor an.






Noch ganz nebenbei was zu "Charleys Tante":

„Charleys Tunte beim Black Jack“ hat mit „Charleys Tante“ fast nix zu tun.
Deshalb müsste man hier auf den Inhalt von „Charleys Tante“ gar nicht eingehen.

Weil aber viele noch nie was von diesem Komödien-Klassiker gehört haben, hier doch ein paar Sätze: Jack und Charley sind verliebt und schüchtern zugleich. Der angekündigte Besuch von Charlys reicher Tante aus Brasilien bietet Gelegenheit, Kitty und Anny, die beiden Angebeteten, einzuladen. Doch da sagt die Tante plötzlich ab. Was tun? Gott sei Dank haben Jack und Charly einen treuen Freund, Babbs. Er muss die echte Tante vertreten. Im eleganten Kleid empfängt er die jungen Damen. Damit nimmt das Chaos seinen Lauf. Unangemeldet platzen Jacks Vater und Mr. Spettigue, der Vormund von Kitty und Anny, in die Wohnung und machen der falschen Tante, alias Babbs, Heiratsanträge. Als dann noch die echte Tante mit ihrem Adoptivkind kommt, geht die Verwechslung in die letzte entscheidende Runde... Seit seiner Uraufführung 1892 in England zählt dieser Schwank zu den größten Theatererfolgen aller Zeiten.

Für viele Schauspieler ist es ein Traum, die "Tante"/ den Babbs zu spielen. Heinz Rühmann und Peter Alexander schlüpften in die Rollen, Sönke Wortmann ("Der bewegte Mann") hat in den 90ern des letzten Jahrhunderts ein Remake von "Charleys Tante" realisiert.

"Warum ist in Deutschland einer der beliebtesten filmischen Stoffe die Verkleidung eines Mannes als 'echt' wirkende Frau, der sich dann in sein 'Original' verliebt (als dessen Abbild er auftritt, d.h. er sich gewissermaßen in ein Spiegelbild seiner selbst verliebt)? Warum ist dieser Stoff so verbreitet, dass er in der bundesrepublikanischen Bevölkerung nicht nur als bekannt, sondern als Teil der meisten Medienbiografien nachgewiesen werden kann? Welche gesellschaftlichen Veränderungen führten dazu, dass dieser Geschlechtertausch im konservativen Nachkriegsdeutschland 1955 noch mit einem zwischen matronenhafter Grazie und derben anzüglichen Zweideutigkeiten changierenden Heinz Rühmann erfolgreich war und nur acht Jahre später mit einem die Frauenrolle klamaukhaft, zickig und chauvinistisch umsetzenden, als Mann jedoch äußerst attraktiv akzentuierten Peter Alexander begeistert aufgenommen wird?" So fragt

Christine Mielke (Universität Karlsruhe)

 



Publikumsstimme:

"Vielen Dank für diese Darbietung. Es war unser erstes Stück bei Euch, aber bestimmt nicht das Letzte..." anonym, 27. September 07

 



Die leichte Briese des Tuntchens

AuGuS-Theater-Neu-Ulm Uraufführung einer Remake-Farce im Sommertheater

VON HEIDE VON PREUßEN

tunte Neu-Ulm Die Tunten-Tante streicht sich übers rostrote Haar. An ihren Stiefelchen aus dem 19. Jahrhundert wallen kleine Spitzen einer ellenweiten Seidenhose. In der Uraufführung des Theaters Neu-Ulm „Char-leys Tunte beim Black Jack", einer Farce von Heribert Benjamini, kokettiert Tuntchen ganz schön mit dem Publikum.

„Huch, sitzt mein Umhang auch richtig?", fragt sie (Heinz Koch) sich selbst und eilt mit kleinen Schrittchen zum großen Theaterspiegel auf der Bühne. Das Gesicht mit Stupsnase, die leicht geschminkten Augen, das anziehende Lächeln - Tuntchen, du bist die Größte. Bis man auf die Hände schaut und sieht, dass diese kräftig zupacken können. Ebenfalls gut vorbereitet, allerdings erst am falschen Ort, das süße Blondchen (Joana Dentler, Foto links) mit dem roten Koffer. Wild ungezügelt, aber doch unmissverständlich erklärt sie ihren „Mitstreitern" (Publikum) dass sie vier Programmpunkte bieten könne und zudem auch ihr Name unvergessen bleibt, nämlich Zahn-Um. So heißt auch die Katze im roten Köfferchen, die von ihr zersägt werden kann, als Pelz versteigert wird. Sie selbst zeigt im langsamen Strip makellosen Body.

Die Farce „Charleys Tunte beim Black Jack" ist ein außerordentlich gelungener Sommerspaß. Während die Tochter als Player-Girl auf der Bühne - Männer- wie Frauenherzen - höher schlagen lässt, führt Mama, Claudia Riese, überzeugend Regie. Jeder der beiden Protagonisten hat zwei längere Monologe, die mit Witz und Komik vollgestopft sind, sich aber immer auf das Stück beziehen. Gute Diktion, ausgezeichnete Mimik und rundes Körperspiel sind Sahnehäubchen dieser Farce. Im zweiten Teil wird Tunte wieder zu Sven-Ole Bremerstetten, ein Mann, der aus vier Beziehungen acht Kinder hat und natürlich kein Geld.

Karten kommen ins Spiel. Letzter Satz im Sommerspaß: „Black Jack". Das Stück ist eine leichte, aber erfreuliche Unterhaltung. Ein paar Klischees gehen unter in heiteren, fortsetzenden Gedanken. Engagiertes Spiel von Joana Dentler und Heinz Koch binden die Farce ein. Sie wie Claudia Riese können auf diese leichte Brise, die bewusst für den Sommer angelegt ist, stolz sein - die Zuschauer haben ihren Spaß.


 

URAUFFÜHRUNG / "Charleys Tunte beim Black Jack" im Theater Neu-Ulm

Eine immerwährende Casting-Show

tunte

Tuntenalarm im Neu-Ulmer Augus-Theater: Heribert Benjaminis Farce "Charleys Tunte beim Black Jack" ist eine Reflexion über die eigene Existenz. Zwei eher erfolglose Existenzen bewerben sich dabei in einer Casting-Show immer wieder um neue Rollen.

CHRISTINA MAYER

Federboa, eng anliegende Klamotten und ein Auftreten, als wolle sie die Welt erobern. In der Farce "Charleys Tunte beim Black Jack" rauscht Joana Dentler, die Tochter der Regisseurin Claudia Riese, aufgemotzt auf die Studiobühne des Augus-Theaters. Die quirlige Dame kommt zum Vorsprechen. Für eine Rolle gibt sie alles, auch sich. So tut sie wenigstens und präsentiert selbstbewusst ihre Schauspielpalette von "klassisch bis zeitgenössisch" und vom Strip bis zum Zersägen einer Katze. Frei nach ihrem Spaß-Motto: "Spaß beiseite, Ernst komm raus, ich zieh mich aus". Was sie dann doch nicht tat.

Aber das Publikum im Theaterraum merkte bei der Uraufführung von Heribert Benjaminis Farce gleich: Hier wird zwar nicht die Katze zersägt, aber der Hund begraben. Hinter der selbstbewussten Fassade dieser Lady namens Helen Marthenstein steckt ein komplexes Komplexbündel, das nur den schönen Schein wahrt. Fassade und Selbstbehauptung um jeden Preis.

Und diese Lady bekommt auch noch Konkurrenz. Sven-Ole Bremerstetten (Heinz Koch) ist Mitbewerber um eine Rolle in "Charleys Tante" und hat sich schon mal entsprechend ausstaffiert: Rothaarperücke, rote Lippen und Rouge. Da mag man als Zuschauer schon mal rot sehen, wenn hinter dem Tuntentutti erst mal abgeschmackte Witzchen kommen. Heinz Koch echauffiert sich in seiner Rolle über religiösen Wahn und bringt Wortspielereien wie "radikal fromm, also richtig bombig fromm". Als Weihrauchfassschlenker bringt er den alten Schwulenwitz "du, Schwester, dein Handtäschchen brennt".

Aber auch hinter der Tuntenfassade dieses Dauerbewerbers steckt eine gescheiterte Existenz. In immer neuen Anläufe versuchen sich der alte Herr und die junge Forsche, die sich auch bereits auf der Schiene dieses Gescheiterten sieht, gegenseitig auszutricksen.

Joana Dentler und Heinz Koch treten im Laufe des Stückes als verschiedene Bewerbertypen in verschiedenen Rollen auf. Immer sehen sie sich einem Text ausgeliefert, von dem sie nicht wissen, woher er kommt. Im weitesten Sinn geht es um Identitätskrisen, die mal fatalistisch, mal peinlich rüber kommen.

"Können Sie mit dem, was ich spreche, was anfangen?", ist die Frage der Schauspieler an das Publikum, das daraufhin größtenteils mit den Achseln zuckte.

Kleine Mitmachaktionen sollten aus dem Publikum Mitbewerber der Casting-Show machen. Sich selbst karikierend ließ Heinz Koch "einen Drachen steigen", indem er ein Publikumspärchen dazu brachte, dass er sie auf einen Stuhl steigen ließ. Die Unwürde eines elenden Schauspieljobs kam dabei durchaus zum Vorschein.

... Die Fremdheit zwischen Gesprochenem und Gelebtem, die bittere Lebensbilanz und das geahnte Scheitern -